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Mario Lüder

Starke Hände, weiche Herzen Starke Hände, weiche Herzen
Seelsorge von der Hamburger Flussschifferkirche Starke Hände, weiche Herzen

Seelsorge von der Hamburger Flussschifferkirche

Ein Ort der Ruhe ist die kleine blau-weiße Barkasse „Johann Hinrich Wichern“, Baujahr 41, erst mal nicht. Ohrenbetäubend stampft der 90 PS starke Schiffsmotor im langsamen, gleichmäßigen Takt. Vorn am Schiffsbug befindet sich eine kleine rustikal eingerichtete Kajüte, mit schmalen Kunststoff bezogenen Bänken, einem hölzernen Tisch und einem Holzschrank, dessen Lackierung in Orange, Braun und Rottönen leuchtet. Hinter der Kajüte, ein paar Stufen hoch, ist ein überdachter Steuerstand eingelassen. Alles ist grau lackiert und aus Metall. Nur das Steuerrad ist aus Holz und scheinbar so groß wie ein Wagenrad. Von hier hat der Kapitän einen guten Überblick rund um das Schiff. Das Deck bietet schmale Holzbänke an den Seiten und ist mit einer Plastikplane überdacht. In der Mitte ragt ein großer grauer Stahlkasten heraus, in dem die Antriebsmaschine bollert. Davor hängen orangene Rettungsringe.

Die Barkasse gehört zur Flussschifferkirche. Sie ist eins von zwei Schiffen, die dem „Verein zur Förderung und Erhaltung der evangelisch-lutherischen Flussschifferkirche zu Hamburg e.V.“ von der Kirche als Dauerleihgabe übergeben wurde. Der Liegeplatz befindet sich im Binnenhafen, am Eingang der Hafencity, unweit der Elbphilharmonie. Die Schiffe sind umzingelt von alten backsteinroten Speichern, modernen Büroklötzen und der Hamburger Hochbahn, die alle paar Minuten schrill quietschend um die Ecke biegt.

Das andere Schiff ist die Kirche selbst. Bis zur Abfahrt der Barkasse war noch ein wenig Zeit hineinzusehen. Von außen kaum als Kirche zu erkennen, ist sie doch mit allem ausgestattet, was man für einen Gottesdienst braucht: Orgel, Altar und Kanzel. Vor dem Altar stehen zwei mal neun Stuhlreihen für die Gemeinde. Holzvertäfelung an den Wänden, ein Dachstuhl aus Balken, Bunte Fenster mit maritimen Motiven geben ein warmes, ruhiges Gefühl. Ein Kerzenständer mit einer Schiffsschraube als Sockel, Schiffsmodelle, kleine Fähnchen aus aller Welt, rote und grüne Positionslichter und maritime Holzschnitte verbinden diesen Ort mit der See. Hier wird getauft, geheiratet, gebetet und gefeiert.

Bevor es los geht, treffen sich die Männer, das sind Seelsorger Manfred Jahnke, Festmacher Jens Lehmann und Kapitän Klaus Lehmann-Gräve, zu einem Gebet in der Kajüte. Etwas ruhiger ist es hier als an Deck. Sie sprechen bedachtsam einen Psalm und das Vaterunser.

„Wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen, dann muss die Kirche zu den Leuten gehen“, soll einst Johann Hinrich Wichern, der Urvater der schwimmenden Kirche, gesagt haben. Also: Leinen los! Und Kapitän Klaus Lehmann-Gräve gibt Schub. Das Stampfen wird lauter. Das Dröhnen schmerzt in den Ohren. Der Boden vibriert, dass die Zähne klappern. Dieselgestank zieht auf das Deck. Vorbei geht es an alten Speichern, unter den Elbbrücken hindurch und auf der Nordelbe entlang an Kränen, Silos, Schuten, Schleppern und Frachtern.

Während der Festmacher Jens Lehmann mit Kapitän Klaus Lehmann-Gräve schnackt, bereitet Manfred Jahnke den Einsatz vor. Er holt Zartbitter-, Orangen-, und Vollmilchschokolade aus einer blauen Blechkiste, die mit bunten Birnen, Trauben, Pfirsichen und Äpfeln bedruckt ist. Auf dem Tisch an Deck liegen auch das Hamburger Abendblatt, die Süddeutsche Zeitung, die Welt mit Hamburg-Teil, ein polnisches Magazin und Informationsblätter zur Flussschifferkirche. Auf der Holzbank am Rand steht eine Kiste rot-grüner Äpfel. Während Manfred Jahnke eine Zeitung, Schokolade und ein paar Äpfel in eine Papiertüte steckt, erzählt er: „Die Seeleute haben oft keine Gelegenheit etwas zu kaufen. So freuen sie sich besonders über frisches Obst und etwas zu Lesen.“

Manfred Jahnke wurde 1942 geboren und war zunächst Industriekaufmann, dann Betriebswirt. Nachdem er erkrankt war, kündigte er, was ihm half wieder gesund zu werden. Danach studierte er Pädagogik an einer evangelischen Fachhochschule. Schließlich wurde er Prädikant, eine Art Hilfsprediger. Als Rentner ist er dies noch heute und hilft beim Verein. Zusammen mit fünf Kolleginnen und Kollegen kümmert er sich als Seelsorger um alle hilfsbedürftigen Seeleute, unabhängig von Nation, Sprache und Religion. Er empfindet das oft als ein „Seelsorgegespräch wie über den Gartenzaun“. Aber: „Das ist keine Mission“, stellt er klar.

Seelsorgegespräch wie über den Gartenzaun

Seelsorgegespräch wie über den Gartenzaun

Die Barkasse erreicht die „Niedersachsen 8“, einen 1.000 PS starken Kohlefrachter. Ein Kran hebt gerade tiefschwarze Kohle gemächlich aus dem Schiff. Jens Lehmann schmeißt die Leine rüber und die Barkasse legt an der Schiffsseite an. Zwei junge Matrosen in feuerroten Overall begrüßen Manfred Jahnke mit einem Lächeln. Er stellt sich kurz vor, reicht gut gefüllte Papiertüten rüber und erkundigt sich wie es ihnen geht. Pascal Draheim, einer der beiden Matrosen, berlinert: „Ich muss vier Wochen am Stück arbeiten“, „Aber meine Freundin versteht das“.

Die Barkasse tuckert ein kurzes Stück weiter zur „Trinitas“, der Kapitän tutet, aber niemand lässt sich sehen. Die Maschine grummelt und auf geht es weiter zur „Stecknitz“. Hier sind ein Bulgare und ein Deutscher an Bord. Ohne viel Gerede nehmen sie mit einem Lächeln die Papiertüten von Manfred Jahnke entgegen. Ein Pole auf dem Tanker „Synthese 6“ ist schon gesprächiger: „Die Arbeit ist hart, aber macht immer Spaß“ Er ist schon 28 Jahre dabei.

So steuert die Johann Hinrich Wichern zu weiteren Binnenschiffen. Sie transportieren Öl, Kohle, Weizen, Sojaschrott und laden es in Hamburg um.

Während die Barkasse das nächste Schiff ansteuert, öffnet Jens Lehmann die Motorabdeckung, nimmt eine Ölkanne und kippt frisches Öl in die Ventile. Begeistert erklärt er die Motorteile. Auf die Frage was an einem Motor schön ist, entgegnet er trocken: „Was ist an lackierten Fingernägeln schön?“

Jede Woche Montags und Donnerstags fährt die Barkasse mit abwechselnder Besatzung die Elbe auf und ab. Alle sind ehrenamtlich dabei. Einige von ihnen sind noch berufstätig.

Es ist Zeit für den Rückweg. Die Barkasse schwimmt gemächlich an Werften, verfallenen Kaimauern, riesigen Container- und Marineschiffen vorbei. Die Elbphilharmonie rückt in den Blick. Mitten auf der Elbe bläst der Wind kräftig und lässt das Boot heftig schaukeln. Der Kapitän gibt nun vollen Schub, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.

Am Ende der Fahrt manövriert Klaus Lehmann-Gräve die Barkasse ganz sachte mit wenig Gas in den Hafen, um sie nicht auf eine Sandbank zu setzen. Als das Boot den Steg erreicht, vertäut Jens Lehmann es sicher am Poller. Für den Seelsorger Manfred Jahnke ist der Tag noch lange nicht zu Ende. Am Nachmittag wird er sich für die Trauer- und Sterbebegleitung engagieren.

Mario Lüder

Mario Lüder