Zahnstocher-Skulpturen
BerichtFoto 16. Oktober 2016 Mario Lüder
Ragna Reusch-Klinkenberg hobelt hoch konzentriert feinste Späne mit einem scharfen Taschenmesser von einem Zahnstocher. Kerbe für Kerbe ritzt sie eine feine Dame. Dann eine Schwimmerin, eine Hummel, eine Giraffe, Blume oder eine andere Figur, ganz nach ihrer Vorstellung. Mit Lesebrille auf der Nase und hauchdünnem Pinsel in der Hand tupft die Schnitzerin Augen, Münder, Frisuren, Röcke und rote Pumps auf Miniskulpturen. Die sind nur 2mm breit und nicht höher als ein Fingernagel. Trotzdem wirken Menschen und Tiere durch Details und Haltung fast schon lebendig. Damen flanieren, Sportler üben Handstand und Katzen verharren, als ob sie im nächsten Moment fortlaufen wollten.
Die 53-jährige wohnt und arbeitet in ihrem Haus in Ahausen. Ein 2000 Seelen Dorf, nicht weit von Bremen. Ihr Arbeitszimmer ist Wohnzimmer zugleich. Der Raum ist mit einer großen Arbeitsplatte, Regalen und Schubladenschränken eingerichtet. Aber auch Sofa, Tischchen und Fernseher stehen dort. Zum Schnitzen der Miniaturen kommt sie hier am besten zur Ruhe. Schnitzen sei für sie so, wie für andere das Stricken, meint sie verschmitzt lächelnd.
Bevor sie anfängt, untersucht sie die Struktur des Holzes. Dadurch kann sie erkennen, ob der jeweilige Zahnstocher stabil genug ist, um eine Miniatur daraus zu arbeiten. So bricht später beim Schnitzen selten etwas ab. Wenn doch, dann bleibt sie gelassen und beginnt mit einem neuen Hölzchen.
Die studierte Grafik-Designerin nutzt für ihre Werke nicht nur Zahnstocher und Schaschlickspieße. Genauso kunstvoll bearbeitet sie Baumstämme und dicke Äste mit einer Motorsäge, bis tanzende Mädchen, Opas, Froschkönige, Eulen oder Badenixen erscheinen.
Ragna Reusch-Klinkenberg hat schon früh in ihrer Jugend angefangen, Figuren aus Holz zu schneiden. Anfangs hat sie Äste bearbeitet, später dann auch hölzerne Wäscheklammern. Aber auch Radiergummis und Kreide ließen sich gut umgestalten.
Mit ihren Arbeiten ist sie bundesweit erfolgreich. Sie verkauft auf Kunstausstellungen, Kunst-Handwerks-Märkten und direkt aus dem Atelier, fertigt aber auch Bestellungen in fast jedem Format nach Themen, Vorlieben oder Stichwörtern an. Der eine Kunde möchte einen Raum beleben, der andere braucht ein besonderes Geburtstagsgeschenk und der nächste wiederum will jemandem einen „Wink mit dem Zahnstocher“ geben. Auch international ist sie gefragt. Für ein Politikmagazin schnitzte sie Politikerköpfe – Merkel, Sarkozy und Obama – aus Bleistiftminen. Eine Agentur aus Hongkong wurde auf die Büsten aufmerksam und beauftragte Ragna Reusch-Klinkenberg chinesische Politiker – Mao Zedong, Hu Jintao und Jiang Zemin – genauso in Grafit zu verewigen. Darauf folgte eine Ausstellung in Hongkong, in der die großen Politiker Stecknadelkopf-klein gezeigt wurden.
In Schnitzkursen für Erwachsene gibt sie ihr Können weiter. Sie lehrt auch Kinder, wie sie mit einem Messer Spitzen und Rundungen schnitzen können – ohne sich dabei zu verletzen.
Ragna Reusch-Klinkenberg holt sich die Inspiration für ihre Arbeiten aus allem Alltäglichen. Ihr ist es wichtig, immer neugierig zu bleiben, um immer wieder Neues zu entwickeln und zu erleben.